Fahrrad-Kreisverkehre: Eislingen first, Süßen second
Gute Dinge brauchen Zeit. Gedanken zum neuen "Hirschkreisel" in Eislingen und was Verkehrskonzepte mit Rotwein gemeinsam haben
Ein kleiner Rückblick: Wir schreiben das Jahr 1980 und ich erlebe in besten Jugendjahren den ersten Frankreich-Urlaub. Welche Erkenntnisse nehme ich mit nach Hause?
Erstens: Schulfranzösisch ist fast nutzlos, wenn das Gegenüber nur den provençalischen "accent du Midi" spricht. Zweitens: Eine Flasche Rotwein für 3 Francs (50 Cent, ohne Inflationsbereinigung) schmeckt bei Sonnenuntergang am Strand von Ramatuelle grandios. Aber man sollte trotz aller Euphorie denselben Wein nicht mit nach Hause nehmen. Ohne Sonnenuntergang und Strand ist der Geschmack ein völlig anderer.
Und drittens: Überall im Land gibt es Kreisverkehre (für Autos). Warum gibt es die nicht auch bei uns zuhause?
Viele, viele Jahre habe ich mich das gefragt, bis dann ganz sporadisch die ersten Auto-Kreisverkehre auch in Deutschland entstanden sind. Und heute? Sind sie fast so allgegenwärtig wie in Frankreich.
Ab den späten 1990er-Jahren verschlägt es mich oft in die Niederlande, und wieder kreisen meine Gedanken um Kreisverkehre. Aber jetzt sind es keine banalen Rondelle nur für Autos. Sondern solche mit einem umlaufenden, baulich getrennten Radweg: Warum gibt es die nicht auch bei uns zuhause?
Viele, viele Jahre habe ich mich das gefragt. Bis mir kürzlich bei der Einweihung des Eislinger Hirschkreisels die Erleuchtung kam: Gute Dinge brauchen Zeit. Ein guter Rotwein muss reifen, und genauso ist es mit neuen Verkehrskonzepten.
Nach vielen Jahren der Planungen und der Rückschläge wurde im September 2023 endlich der erste Kreisverkehr mit umlaufendem Radweg im Kreis Göppingen eingeweiht - ein geschützter Kreisverkehr nach niederländischem Vorbild.
Schon 2016 stand der Umbau der unübersichtlichen Hirschkreuzung auf der städtischen Agenda. Aber die Realisierung scheiterte damals an einem Bürgerentscheid. Obwohl nicht nur die Stadt, sondern auch der ADFC die Kreisvariante eindeutig favorisierten.
„Vielleicht war die Zeit damals noch nicht reif“ sagte Eislingens OB Klaus Heininger bei seiner Eröffnungsrede, und so war es wohl auch.
Aber jetzt ist der Kreisel gereift: Auf den ersten Blick zwar noch ein bisschen herb, denn autofrei ist er natürlich nicht. Aber der sanfte Abgang mit gut sichtbaren und bevorrechtigten Geh- und Radwegen gibt ihm eine einzigartige Note im Kreis Göppingen.
Einzigartig wird er aber nicht sehr lange bleiben. Denn an der Süßener Tobelkreuzung kündigt sich das zweite Exemplar an, der Bau wurde vom Gemeinderat schon beschlossen. Und auch Nummer drei ist in Planung: An der Einmündung der Eislinger Weingartenstraße in die Nordverbindung nach Göppingen.
Wir sind optimistisch, dass es nicht bei diesen drei Exemplaren bleiben wird. Denn vielleicht ist die Zeit jetzt tatsächlich reif für gute Kreisverkehre.