Und täglich grüßt das Murmeltier: Donzdorf und die Umlaufsperren

"Radfahrer absteigen!", "Fahrt auf der Straße!". Das empfehlen zwei Leserbriefschreiber den Kritikern des Donzdorfer Umlaufsperrenparcours, auch "Lautertalradweg" genannt.

Auf der Straße fahren: Die Idee ist nicht neu. Meine 80-jährige Mutter hat das schon vor einem Jahr ausprobiert, bei ihrer täglichen Vélotour zum Friedhof und zum Einkaufen. Tags zuvor war sie mit dem Einkaufskörbchen des Gepäckträgers an einer Umlaufsperre hängengeblieben. Bei Schrittgeschwindigkeit, natürlich. Meine Mama besitzt weder E-bike noch Rennrad.

Sie war ins Straucheln geraten und hatte vor ihrem geistigen Auge "schon alle Sterne gesehen". Immerhin konnte sie sich noch abfangen und verstauchte sich "nur" den Fuß. Es hätte schlimmer kommen können. Und, noch ein Trost: Es lag auch nicht am Alter. Ob 5- oder 85-jährig, es trifft jede Altersgruppe und im Prinzip auch jedes Körperteil: Vom Kopf über das Handgelenk bis zum Bein. Nur eins haben die Unfälle gemeinsam: Alle Radler/innen waren mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs.

Jedenfalls hat meine Mutter seit dem Beinahe-Sturz Angst vor dem Geh- und Radweg. Dieses Originalzitat muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Ein Mensch hat Angst vor einem Geh- und Radweg.  Ich kenne Menschen, die haben Angst vorm Fliegen, vor einer Operation oder vor dem bösen Watz. Aber Angst vor einem Geh- und Radweg? Das kenne ich nur aus Donzdorf.

Eine Weile fuhr sie jedenfalls nur noch auf der Straße. Als sie beim Lidl mitten im Kreisverkehr von einem überholenden Auto fast gestreift wurde, bekam sie es auch auf Donzdorfs Straßen mit der Angst zu tun. Die Hauptstraße meidet sie sowieso. Plötzlich aufgehende Türen bei geparkten Autos sind nachweislich die häufigste Ursache für besonders schwere Radunfälle.

Und geparkte Autos gibt es reichlich auf Donzdorfs Hauptstraße. Bei der Neugestaltung im Jahr 2014 hat die Stadt Parkbuchten am Straßenrand geschaffen. Auf Radwege oder Schutzstreifen wurde verzichtet. Begründung des Bürgermeisters: Für Radfahrer steht der Lautertalradweg zur Verfügung.

Lautertalradweg? War da nicht was?  Ach ja: "Radfahrer absteigen!"  Elfmal absteigen auf 1500 Metern. Deutschlandrekord.

Das ist kein Witz. Weder dem ADFC Bundesverband noch den Juroren des "Pannenflicken" ist bislang eine Strecke mit höherer Umlaufsperrendichte bekannt.

Im Dezember wurde der Lautertalradweg mit dem "Goldenen Pannenflicken 2016" ausgezeichnet. Dieser bundesweite Negativpreis für Radverkehrseinrichtungen wird seit 2006 jährlich an eine Kommune verliehen, die sich "mitunter grob fahrlässig nicht an Gesetze, Vorschriften und Empfehlungen in Bezug auf den Radverkehr hält".
Auf gut deutsch: Es geht NICHT darum, alle Umlaufsperren zu entfernen und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Sondern es geht darum, den Geh- und Radweg mit geltenden Vorschriften in Einklang zu bringen. Dazu gehört, so leid es uns tut, eine Vorfahrtregelung für Fahrräder an der gräflichen Zufahrt. Das sagt nicht der ADFC, sondern das Verkehrsministerium. Musterblatt 10.2-1 für Radverkehrsanlagen. Bei Sicherheitsbedenken, so das Ministerium, können Tempohemmschwellen für Fahrzeuge auf der gräflichen Privatzufahrt angebracht werden. Das sollte man den wenigen Kfz-Benutzern eigentlich zumuten können. Wegen Tempohemmschwellen hat sich noch kein Autofahrer einen Zahn ausgeschlagen oder ein Bein gebrochen. Anders sieht das bei Radlern an Umlaufsperren aus.

Mit 9 statt 11 Umlaufsperren hätte Donzdorf realistische Chancen gehabt, im Wettbewerb um den goldenen Pannenflicken auf den zweiten Platz hinter Reutlingen zurückzufallen. Wäre sogar noch mehr (in diesem Fall also: weniger) als Platz 2 drin gewesen? Der ADFC sagt: Ja

Der Autor Thomas Gotthardt fährt jährlich etwa 5.000 km per Rad und 25.000 km mit dem  Auto. Er hält nichts von der Kategorisierung  "die Radfahrer", "die Autofahrer" und "die Fußgänger".  Die meisten Radfahrer sind auch Autofahrer und Fußgänger. Und umgekehrt.

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https://goeppingen.adfc.de/artikel/und-taeglich-gruesst-das-murmeltier-donzdorf-und-die-umlaufsperren

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