Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Kreisverband Göppingen

"Brezeltaste" auf der Göppinger Hauptstraße © ADFC Göppingen

Mobilität der Zukunft: Mit dem Porsche zum Bäcker?

ADFC wundert sich über die Fokussierung auf das Auto beim Bürgerdialog zur zukunftsfähigen Mobilität in Göppingen

Immer mehr Städte sehen in der Förderung des Radverkehrs ein vorrangiges Ziel. Auch Göppingen versucht seit Jahren, den Radverkehrsanteil zu steigern – jedoch mit bescheidenem Erfolg. Besucher des Bürgerdialogs zur zukunftsfähigen Mobilität haben am Sonntag eine Erklärung für diese Erfolgsmisere bekommen:  Die Vorträge und auch die Berichterstattung in den Medien drehten sich ausnahmslos um ein anderes Verkehrsmittel: Das Auto.
 
Die Ausstellungsfläche in und um die Stadthalle war geprägt von schweren „Kraftfahrzeugen“, darunter ein Porsche Taycan. Sie wurden zwar mit neuen Antriebsformen wie Strom und Gas präsentiert und mögen damit zur Verbesserung von Luft und Klima beitragen. Aber das tägliche Verkehrs- und Parkchaos wird dadurch nicht besser. Mit dem emissionsfreien Porsche zum Bäcker – das löst keine innerstädtischen Verkehrsprobleme.
 
Eine Studie* des Bundesverkehrsministeriums belegt: 50% aller Autofahrten sind kürzer als  5 km, und 25% aller Fahrstrecken sind sogar kürzer als 2 km. Viele Kommunen haben inzwischen erkannt, dass neue Konzepte nötig sind, um die Bürger zum Umstieg auf andere Verkehrsmittel zu bewegen.  
 
Mehr Radverkehr könnte viel Positives bewirken, denn ein Fahrrad benötigt nur 10% der Fläche eines Autos. Wenn zukünftig auch nur die Hälfte aller Kurzstrecken mit dem Rad statt mit dem Auto gefahren wird, dann würde  das eine erhebliche Verkehrsberuhigung bewirken und die Lebensqualität in der Stadt erhöhen.
 
Das Fahrrad spielte bei den Vorträgen zur zukunftsfähigen Mobilität aber keine Rolle. Zwar durfte sich der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) unter die Aussteller mischen, ebenso wie zwei Spezialfahrradhändler und die Mobilitätszentrale. Vom mehrstündigen Vortragsprogramm blieben die Vertreter von ÖPNV und Fahrrad jedoch gänzlich ausgeschlossen. Alle Vorträge drehten sich um Antriebsformen für Autos: Erdgas, Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe.

Wie zukunftsfähige Mobilität am Beispiel des Fahrrads aussieht, zeigte der ADFC deshalb nicht im offiziellen Vortragsprogramm, sondern mit einem Bildervortrag  am eigenen Infostand. Am Beispiel der Niederlande zeigte der Fahrradclub, wir die „urbane Verkehrswende“ tatsächlich gelingt.
 
Auch die Niederlande sind ein Land der Autofahrer, aber gleichzeitig schaffen sie auch eine vorbildliche Radverkehrsinfrastruktur. Bis in die1970er-Jahre dominierte auch dort der Autoverkehr die Innenstädte und ließ fast keinen Platz mehr für Fußgänger und Radfahrende. Dann aber stellten immer mehr Kommunen konsequent auf eine effektive Förderung des Radverkehrs um. Die Folgen sind heute überall sichtbar: Der Radverkehrsanteil liegt in den Städten bei mehr als 50%.
 
Der Nutzen ist enorm. Aber den Umstieg aufs Fahrrad erreicht man nur durch konsequente Infrastruktur-Maßnahmen. Dazu genügt es nicht, Streifen und Fahrradsymbole auf die Straße zu malen. Sichere Radwege müssen so gestaltet werden, dass beispielsweise Eltern ihre Kinder bedenkenlos mit dem Rad zur Schule schicken und sich auch ungeübte Menschen mit dem Rad im Stadtverkehr sicher fühlen.
 
Der Bürgerdialog zur zukunftsfähigen Mobilität hat gezeigt, dass Göppingen und auch  andere Filstal-Kommunen noch immer in alten Denkmustern feststecken: Solange Vertreter von ÖPNV sowie Fuß- und Radverkehr von der Bühne fern bleiben müssen, darf man keine Verkehrswende erwarten.
 
Der ADFC hat zwar den Eindruck, dass sich die Stadtverwaltung und auch Teile des  Gemeinderats eine neue Verkehrssituation in Göppingen wünschen. Es fehlt aber die echte Bereitschaft zu handeln. Solange man die Bürger besipielsweise mit kostenlosen Brezeltasten dazu einlädt, mit dem vollelektrischen Porsche zum Bäcker zu fahren, bleibt das Fahrrad in der Garage stehen. Denn ungeschütztes Radfahren zwischen tonnenschweren Blechkarossen ist für die meisten Menschen keine Alternative.

* Quelle zum prozentualen Anteil der Fahrstrecken: Studie MiD (Mobilität in Deutschland), Bundesverkehrsministerium

alle Themen anzeigen

Verwandte Themen

Critical Mass Süßen

Critical Mass Süßen: Ganz großer Zufall

Eine Critical Mass ist per Definition keine Demonstration, sondern "eine gemeinsame Fahrt von Menschen, die sich wie…

Gefährliche Umlaufsperren auf dem Lautertalradweg - ein Zwischenstand

Mit der aktuellen Online-Umfrage des ADFC Göppingen und der Bürgervereinigung „Donzdorfer Fahr-Rat“ zu den Umlaufsperren…

Plakataktion des ADFC "Mit Abstand sicher" (zum Überholabstand innerorts)

Voralb-Gemeinden geben Startschuss für ADFC-Kampagne zum Überhol-Mindestabstand

Der Mindestabstand von 1,50 Metern gilt nicht nur zum Schutz vor dem Coronavirus. Dieselbe Regel gilt auch für…

Portrait Hermino Katzenstein MdL

Gerechte Aufteilung des öffentlichen Raums

Zu einer Veranstaltung mit dem Landtagsabgeordneten Hermino Katzenstein laden der VCD und der ADFC am 1.10.2025 ein.…

ADFC-Fahrradklima-Test 2024

Sprung nach vorne: Eislingen verbessert sich beim Fahrradklima deutlich

Die Radfahrenden in Eislingen honorieren die aktuellen Verbesserungen bei der Radverkehrsinfrastruktur im aktuellen…

Schmaler Radschutzstreifen in der Burgstraße

Radfahren in Göppingen: In der Stadt gefährlicher als im übrigen Landkreis

In Göppingens Straßen geht es teilweise eng zu. Autos, Fahrräder und Fußgänger müssen sich den Verkehrsraum teilen. Die…

Ist das Kunst oder kann das weg?

Es ist vollbracht: Eine seit den 1970er-Jahren stillgelegte Ampel an der Süßener Haldenstraße wurde im Oktober 2022 in…

Vortragstournee: Vorbild Niederlande – wie wird Deutschland zum Fahrradland?

Mit einem informativen und kurzweiligen Bildervortrag zeigen wir, welches unglaubliche Potential im Verkehrsmittel…

Radio fips zur Brezeltaste

Interview mit Thomas Gotthardt vom ADFC Göppingen

https://goeppingen.adfc.de/artikel/mobilitaet-der-zukunft-mit-dem-porsche-zum-baecker

Bleiben Sie in Kontakt